Zengeschichten

Eines Tages wurde Hokusai vom Shogun geladen, der stellvertretender Machthaber des Kaisers war, er solle vor seinen Augen ein Bild malen. Als er den großen Saal des Shoguns betrat, der voll von Fürsten und Hofherren war, ließ er einen großen Papierballen kommen, den er auf dem Boden ausbreitete. Dann nahm er eine Bürste mit blauem Farbstoff in die Hand und zog einen breiten Strich auf dem Papier. Nun holte er einen Hahn, dessen Füße in rote Farbe getaucht waren, und jagte ihn über den blauen Streifen. Und Hokusai sagte zum Shogun:

Das ist ein Bild vom Tatsuta-Fluß mit Herbstlaub, Eure Hoheit…

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Einst wurde ein Zen-Meister vom König gefragt – denn der Meister war ein großer Maler – daß der König einen Bambus gemalt haben wollte.

Der Meister sagte: „Das braucht Zeit.“ „Wie viel?“ sagte der König. Der Meister sagte: „Das ist schwer zu sagen, aber zumindest zwei, drei Jahre.“ Der König sagte: „Bist du verrückt, oder was? Du bist einer der berühmtesten Maler – Ich dachte, du könntest ihn einfach jetzt sofort zeichnen.“ Er sagte: „Das ist nicht das Problem. Einen Bambus zu zeichnen ist nicht das Problem. Aber zuerst muß ich ein Bambus sein. Wie weiß ich sonst, was ein Bambus ist. Ich will den Bambus von innen heraus kennen. Also werde ich gehen und in einem Bambushain leben müssen. Und niemand weiß, wie lange das dauern wird … Bevor ich den Bambus nicht von innen her kenne, kann ich nicht malen. So habe ich es mein Leben lang gemacht. Ich male nur das, dessen tiefstes Inneres ich kenne.“ Der König sagte: „Okay, ich werde warten“.

Ein Jahr verging. Er sandte einige Leute, um zu sehen was los ist, ob der Mann lebt oder tot ist. Sie kamen und sie sagten: „Der Mann lebt, aber wir glauben nicht, daß er noch ein Mensch ist. Er ist ein Bambus. Er schwang mit dem Bambus im Wind. Wir gingen an ihm vorbei, er hat nichts bemerkt. Wir sagten: „Hallo!“ Er hat nicht gehört. Wir wollten ihn fragen, wir schauten in seine Augen – sie waren so leer, daß wir uns fürchteten. Entweder er ist verrückt geworden oder irgend etwas ist passiert. Und er kann alles mögliche machen! So sind wir entflohen. Er könnte uns töten! Wer weiß? Er könnte uns anspringen. Er ist nicht mehr derselbe Mann.“ Der König ging selbst, um zu sehen. Und der Meister schwang im Wind, in der Sonne. Und der König fragte: „Mein Herr, was ist mit meinem Bild?“ Er antwortete nicht.

Nach drei Jahren erschien er am Hofe. Und er sagte: „Jetzt bringt die Leinwand und die Farbe, ich bin soweit. Und warum habt ihr mich immer wieder gestört? Wenn ihr mich nicht gestört hättet, wäre ich etwas früher gekommen. Diese Narren deines Hofstaates haben mir Sachen erzählt, sie sagten: „Hallo!“ … Sagst du Hallo zu einem Bambus? Sie haben die ganze Sache gestört. Ich habe Monate gebraucht, um wieder so weit zu kommen, ein Bambus zu sein und zu vergessen, daß ich ein Mensch bin. Und dann kamst du und sagtest: „Mein Herr!“ … Spricht man so einen Bambus an? „Wann wirst du malen?“ … Hat irgendjemand davon gehört, daß ein Bambus malt? Du bist ein Narr! Du bist umgeben von Narren! Ich sagte dir, daß ich komme, wenn ich soweit bin“.

Die Leinwand wurde gebracht, die Pinsel und die Farbe, und innerhalb von Sekunden zeichnete er den Bambus. Und man sagt, daß der König vor Freude weinte. Er hatte noch nie ein solches Gemälde gesehen! Es war so lebendig! Es war kein gewöhnliches Gemälde, es war nicht aus dem Außen. Es war vom Bambus, als ob ein Bambus auf der Leinwand gewachsen wäre, nicht gemalt.